Der sozialwissenschaftliche Zugang zum Thema Konsum/Produkt

von Verena Grünwald

Einführung

Konsum hat heute nur noch zu einem geringen Teil mit der Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse zu tun, da die Güter und ihr Konsum eher für einen Ausdruck gesellschaftlicher Ambition und Mobilität stehen; sie symbolisieren damit neue Ausdrucksmöglichkeiten und Lebensstile[1]. Doch was verstehen wir eigentlich unter Konsum und welche Bedeutung hat er wirklich auf unser tägliches Leben und Sein?

Im ersten Kapitel soll Konsum als Begriff näher beleuchtet werden, danach folgt eine Übersicht über die Entstehung der Konsumgesellschaft und der wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der Konsumsoziologie. Was „sozial“ ist am Konsum, wird in Kapitel vier behandelt, wobei die drei wichtigsten Richtungen ausführlicher beleuchtet werden. In Kapitel fünf wird Konsumverhalten am Beispiel Ernährung näher betrachtet. Das letzte Kapitel beschäftigt sich dann mit dem nachhaltigen Konsum. 

Was ist Konsum – eine Begriffserklärung

Nach der, noch immer gängigen, klassisch ökonomischen Begriffsdefinition der Wirtschaftswissenschaften der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wird unter „Konsum“ die Auswahl, der Kauf, sowie Ge- und Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen verstanden[2]. Diese Verhaltensweise ist auf das Erlangen und die private Nutzung wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen durch den Konsumenten bzw. den Haushalt ausgerichtet, die dabei die Bereiche

  • Entstehung, Reflexion und Feststellung von Bedürfnissen
  • Wahl und Gewichtung bezüglich Beschaffung und Nutzung
  • Suche und Auswertung von Informationen inklusive Entscheidung
  • Beschaffung bzw. der Kauf an sich
  • Gebrauch, Verbrauch, Nutzung als eigentlicher Konsum
  • Unterschiedliche Möglichkeiten der Entsorgung
  • Weichenstellung für Bedarf in der Zukunft

im Konsumvorgang implizieren[3].

Im wirtschaftlichen Sinne werden Güter und Dienstleistungen über den Markt erworben, auf dem sich Produzenten und Konsumenten gegenüber stehen, die sich über Handel, Marketing und Werbung/Produktkommunikation austauschen[4]; gleichzeitig sind in diesem Begriff jedoch auch alle Empfindungen, Diskurse und Verhaltensweisen mit einbezogen, die mit den jeweiligen Gütern und Dienstleistungen in Zusammenhang stehen[5].

Damit wird aufgezeigt, dass es beim Konsumieren nicht nur um den bloßen Kaufakt an sich geht, sondern es sich dabei um unterschiedliche Formen des Umgang mit und der Nutzung von Konsumgütern handelt[6].

Die Entstehung der Konsumgesellschaft

In früheren Zeiten dienten Waren fast ausschließlich zur Sicherung der Existenz und wurden hauptsächlich selbst hergestellt. Erst durch den beginnenden Zerfall der Ständegesellschaft und einer Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse kam es zu einer rasch wachsenden Nachfrage nach Waren, die am Anfang nur dem Adel und dem Großbürgertum zugänglich waren[7]. Durch die ersten Formen einer sich entwickelnden „Konsumgesellschaft“, die – je nach Fokus – im England des 17. / 18. Jahrhunderts, in den Niederlanden des 17. Jahrhundert oder im Florenz zur Zeit der Renaissance ausgemacht werden können, hatten Güter und Dienstleistungen nicht mehr die reine (lebens)notwendige Bedürfnisbefriedigung als Aufgabe, sondern bekamen eine mit Annehmlichkeiten und Luxus verbundene Bedeutung[8], was sich auch an der Orientierung der niedrigeren Schichten am Konsumverhalten der jeweils höheren Schicht ablesen lässt. Dadurch kam es auch zu einer markanten Veränderung vor allem in kultureller Hinsicht[9]. Wiswede[10] unterscheidet folgende Entwicklungsphasen bei der Konsumgesinnung:

  • die Traditionskultur: die vorindustrielle Tradition des Konsums ist durch religiöse Gebote sanktioniert; an der tradierten Lebensführung werden kaum Änderungen vorgenommen; das Konsumverhalten wird von den Vorvätern übernommen
  • die Arbeitskultur: durch den calvinistischen Puritanismus und den lutherischen Pietismus wurde der Kapitalismus mitbedingt; Arbeit wird zum Lebensmittelpunkt; Konsum, Vergnügen, Spiel ist verwerflich; es kommt jedoch zu einer starken Einschnürung des Konsums; Produktion kann nur durch Güterausstoß abgebaut werden
  • die Konsumkultur: im Spätkapitalismus ist Konsumaskese keine treibende Kraft mehr; es kommt zu einem veränderten Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit; Massenkonsum entwickelt sich; Konsumgüter sind für viele oder gar alle erreichbar[11]

Soziologisch sind zwei Sachverhalte für das Verständnis der Konsumgesellschaft von Bedeutung: Einerseits eine rasch wachsende Konsumnachfrage, die durch einen stark expandierenden, auch überseeischen, Handel zu befriedigen versucht wurde und andererseits entstand die Konsumnachfrage durch steigende Ansprüche und veränderte Einstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung, und nicht als Reaktion auf ein rasch wachsendes Warenangebot[12].

Die Entwicklung der Konsumsoziologie

Trotz der Bedeutung des Themas „Konsum“ für Gesellschaft und Individuum, hat sich die Soziologie wenig damit befasst[13], und stellt einen bisher nur mäßig bearbeitenden und schwach integrierten Forschungsbereich dar. Hier die wichtigsten Entwicklungslinien, kurz zusammengefasst:

  1. 50er Jahre: es entstehen historisch-morphologische Analysen der Wohlstandsgesellschaft, deren Nachteil ihr Feuilleton-Charakter sowie ihr sozialkritischer Einschlag sind
  2. 60er Jahre: die Rubrik „soziokulturelle Determinanten des Konsumverhaltens“ taucht auf; die hier vorgelegten Arbeiten sind empirisch gehaltvoll, jedoch an pragmatischen Themenstellungen des Marketings orientiert und bleiben damit eingegrenzt und auch von einseitigen Erkenntnisinteressen geleitet
  3. 70er Jahre: in Deutschland kommt es zu einer kurzfristigen Blüte der Konsumsoziologie; die entstandenen Arbeiten bleiben jedoch weitgehend folgenlos und begründen keinen eigenständigen soziologischen Forschungsbereich
  4. 80er und 90er Jahre: es kommt zu einem Wiederaufleben konsumsoziologischer Themen in Zusammenhang mit der Lebensstil-Forschung; der Begriff der Konsumkultur erlebt eine zweite Blüte; Annäherungen zur Konsumsoziologie sind insofern gegeben, als das Lebensstilkonzept von vielen Soziologen im Wesentlichen über Konsumstile definiert wird[14]

Nach Eder[15] hat sich die neue Konsumforschung ganz der symbolischen Bedeutungs- und Sinngebung des Kaufens, Gebrauchens und Verbrauchens von Gütern und Dienstleistungen verschrieben, wobei die Untersuchungsschwerpunkte auf den sozialen und technischen Einrichtungen und den Handlungs- und Konfliktformen zwischen Menschen und deren Werten und Normen liegen. Damit rückt die elementare Frage nach den Motiven und Antrieben des Konsumierens in den Mittelpunkt rückt[16].

Das „Soziale“ am Konsum

Das Konsumieren ist eine soziale Handlung und eine soziale Kommunikation, die entweder vom Individuum auf sich selbst bezogen wird – hier vor allem auf die Erlangung oder Sicherung personaler Identität, Selbsterhöhung sowie auf Erleben und Genuss – oder auf andere gerichtet ist. Konsumgüter werden damit zu Symbolen, die verschiedene Funktionen haben[17].

So kann zum Beispiel mit Produkten kommuniziert, aber auch – durch ihre Wahl und Kombination – eine Bedeutung ausgedrückt werden, die von allen Gesellschaftsteilnehmern verstanden wird. Produkte, als ein Teil der materiellen Objekte unserer Kultur, werden den ganzen Tag – bewusst oder unbewusst – entschlüsselt. Dies ist jedoch nur möglich, weil diese Objekte in Feldern existieren, die verschiedene Wahlmöglichkeiten zulassen. Wenn ein bestimmtes Produkt aus einer Fülle von ähnlichen Produkten gewählt wird, wird mit dieser Wahl eine bestimmte Bedeutung – gleich, ob bewusst oder unbewusst – übermittelt. Es handelt sich dabei um einen Prozess, der konstitutiv für das soziale und kulturelle Wesen Mensch steht[18]. Zu den Funktionen von Produkten werden unter anderem die expressive, die distinktive, die soziale, die normative und die ästhetische Funktion gezählt. Mit diesen Funktionen ist es dem Menschen möglich etwas über sich auszusagen, sich von anderen Mitgliedern seiner Rollengruppe abzugrenzen, Verbindungen und Beziehungen zu vertiefen, nach gesellschaftlichen Regeln und Ritualen vorzugehen und etwas Schönes – im Falle von Konsumgütern – zu erwerben[19].

Damit dienen Konsumgüter zur sozialen Formung, wobei Konsumverhalten und Konsummuster durch soziale Bedingungen und Einflussgrößen ausgebildet und dadurch zu einem Ausdruck einer sozialen Prägung werden, die für sozio-kulturelle Strukturbedingungen und Wertvorstellungen als typisch angesehen werden. Zum anderen wird durch das Konsumverhalten eine soziale Ausrichtung deutlich, das sich auf andere Personen und ihren Reaktionen ausrichtet und sich in seinem Ablauf komparativ und normativ daran orientiert.

Damit wird der gesellschaftliche Charakter von Konsumgütern deutlich, der sich je nach Kulturen und Gesellschaften als auch in verschiedenen historischen Zeitspannen unterscheidet[20].

Drei Richtungen sollen in dieser Arbeit näher beleuchtet werden: Konsum und Lebensstil, Konsum und Sozialstruktur sowie Konsum und Wertewandel.

Konsum und Lebensstile

Als eine Definition von „Lebensstilen“ hat Zapf u.a.[21] vorgeschlagen, darunter „relativ stabile […] Muster der Organisation des Alltags im Rahmen gegebener Lebenslagen, verfügbarer Ressourcen und getroffener Lebensplanung“ [22] zu verstehen.

Ende der 70er Jahre begann in den USA eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Konzept der Lebensstile, in deren Mittelpunkt die Identifizierung von Alterskohorten standen, die sich durch unterschiedliche Verhaltensweisen auszeichneten. Jedoch wurde es umso schwieriger die vielen Beobachtungen auf einen gemeinsamen Kern zurückzuführen, je weiter sich das Indikatorenspektrum ausdehnte. Heute liegen eine Fülle von Beschreibungen vor, die sich in ihrem Anspruch und in ihrer Zielgruppenorientierung unterscheiden. Zwei wichtige Vertreter sollen als Beispiele herausgegriffen werden, die erhebliche Auswirkung auf der Lebensstil- und Konsumforschung hatten: zu einem Pierre Bourdieu (1930-2002) mit seiner Analyse der französischen Gesellschaft, die er v.a. in seiner Arbeit “Die feinen Unterschiede“ näher untersucht hat, zum anderen Gerhard Schulze und seine Arbeit „Die Erlebnisgesellschaft“, mit seiner Analyse der deutschen Gesellschaft hinsichtlich der Genussorientierung.

Pierre Bourdieu betrachtet das Handeln der Menschen unter dem Aspekt der Relation, bei der alle Regeln, die sich im Alltag beobachten lassen, einen Moment der Unbestimmtheit enthalten, die wiederum das Ausmaß der Freiheitsgrade beschreibt, die das praktische Handeln ausmachen. Als Vermittlungsinstanz zwischen dem Individuum und der Gesellschaft verwendet Bourdieu den Habitus, der beständige Teil einer sozialen Logik, die sich in Einstellungen und Verhaltensweisen wiederfindet, der die gesamte Alltagskultur erfasst und eine Art Meta-Instanz darstellt. Wenn also ein Akteur eine Entscheidung bezüglich eines bestimmten Gutes oder einer bestimmten Aktivität trifft, dann tut er das nicht rein individuell, sondern vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, die sich auch als sozialisierte Interessen bezeichnen lassen können – immer vorhanden, wenn auch nicht immer bewusst[23]. Es geht also nicht nur um die Frage, was die Personen konsumieren, sondern auch wie sie dies tun[24].

Jedoch macht der Habitus die Menschen nicht alle gleich und ihr Handeln auch nicht exakt berechenbar, aber er eröffnet Spielräume des Handelns und markiert eine Nähe bzw. Distanz zu unterschiedlichen Dingen und Präferenzen[25]. Dabei geht es immer um die Frage, welche ästhetischen Prinzipien bzw. kulturellen Präferenzen dem Konsumverhalten zugrundeliegen und welche typischen Konsummuster daraus in bestimmten sozialen Gruppen resultieren[26].

Bourdieus Gesellschaft erlebt sich vor allem über Differenzen, die nach innen das Gefühl der Identität vermitteln und nach außen die Abgrenzung, also Distinktion, von den anderen Gruppen, bestätigen[27]. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Klassen führt zur Ausbildung verschiedener Habitusformen – also zu unterschiedlichen Geschmacksrichtungen bzw. kulturellen Präferenzen – und damit in der Folge zu unterschiedlichen Praxisformen, die als Lebensstile konzipiert werden. Bourdieus soziokulturelle Klassentheorie umfasst die herrschende Klasse, die Mittelklasse und die Arbeiter- und Bauernklasse, die sich je nach ihrem ökonomischen und kulturellen Kapital in Form von Bildung, Wissen und Kompetenzen vertikal geschichtet anordnen lässt. Zusätzlich wird eine horizontale Dimension der Klassenstruktur konzipiert, die die relative Verteilung dieser beiden Kapitalarten abbildet[28]. Konsum lässt auf diese Weise den Geschmack und das kulturelle Kapital eines Akteurs sichtbar werden, und dadurch ist die soziale Einordnung des Konsumenten möglich[29].

Bourdieu betrachtet somit die soziale Herkunft als die zentrale Bestimmungsgröße und unterscheidet einen Luxusgeschmack der oberen und einen Notwendigkeitsgeschmack der unteren Klassen.

Gerhard Schulze hingegen stellt in seiner Analyse die Genussorientierung in den Vordergrund[30], wobei sein Zugang durch eine interaktionistische und interpretative Orientierung geprägt ist. Menschen gehören damit nicht nur sozialen Klassen an, sondern suchen sich ihre Interaktionspartner und ihr jeweiliges soziales Milieu auf der Grundlage ihrer subjektiven kulturellen Präferenzen selbst[31]. Schulze legt ein Modell vor, das als anti-hierarchisch wahrgenommen werden kann, obwohl die von ihm identifizierten Milieus – Niveaumilieu an der Spitze, Selbstverwirklichungs- und Integrationsmilieu in der Mitte und Unterhaltungsmilieu am unteren Ende der Hierarchie[32] – auch in einen Rahmen vertikaler Ungleichheiten eingefügt werden können. Schulze betont im stärkeren Maße die Wahlmöglichkeit somit die freiwillige Selektion der Zugehörigkeit zu bestimmten Lebensstilen. Milieus sind „Personengruppen, die sich durch gruppenspezifische Existenzformen und erhöhte Binnenkommunikation voneinander abheben“[33], die bezüglich ihrer Zugehörigkeit als ein Bekenntnis zu bestimmten Lebensformen erscheint und über ein gemeinsames handlungsrelevantes Wissen verfügen, welches aus unterschiedlichen Wertesynthesen resultiert[34], wobei, nach Schulze, der Lebensstil einer Person stark durch das Alter bestimmt ist[35].

In der Summe entsteht so die Skizze eines sozialen Raumes, die sich durch eine Milieusegmentierung veranschaulichen lässt und für Gesellschaftsmitglieder eine Art kognitiven Kompass darstellt. Dabei geht es vor allem um Ideelles aber auch um eine Vielzahl von Zeichen – nach Schulze Objekte des Alltags – denen eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben wird[36]. Deren Dekodierungsfähigkeit hängt wiederum vom formalen Bildungsgrad des Konsumenten ab[37]. Schulze meint, dass die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben gestalten, weniger zur Beeindruckung Dritter gedacht ist, sondern eine Bedeutung für den persönlichen Lebensentwurf und damit für eine nach innen gerichtete Orientierung hat[38].

Laut Wiswede[39] ist das Konzept des Konsumstils eine Teilklasse des Lebensstils, die in zweifacher Weise mit dem Konsumgeschehen verknüpft ist. Zum einen soll der Lebensstil bestimmte Konsummuster erklären; zum anderen dazu dienen, ältere Formen der Stratifikation, die eher aus der Erwerbssphäre kommen, zu ersetzen bzw. zu ergänzen[40].

Rössel und Pape[41] entwickelten ein theoretisches Modell, in dem das menschliche Handeln als das Ergebnis von zwei Filtermechanismen begriffen wird. Einerseits die Opportunitätsstruktur, die als die Menge aller möglichen Handlungsalternativen verstanden wird und die für den Akteur hinsichtlich der externen Restriktion und der verfügbaren Ressourcen zugänglich ist; andererseits die kulturelle Präferenz, die aus der gegebenen Opportunitätsstruktur diejenigen Alternativen auswählt, die den persönlichen Vorlieben des Akteurs entsprechen[42].

Konsumverhalten und Sozialstruktur

Hier wird zwischen einem Konsumverhalten im engeren und im weiteren sozialen Kontext unterschieden. Zum engeren sozialen Kontext rechnet man die Familie sowie die relevanten Bezugsgruppen, zum weiteren Bezugskreis die Sozialschicht, Subkulturen und die umgreifende Gesamtkultur.

  • Konsumverhalten im engeren sozialen Kontext

Bezüglich des Einflusses der Familie auf das Konsumverhalten ist zu sagen, dass Kaufentscheidungen und Konsumverwendung häufig im familialen Kontext stattfinden und somit kollektiv, d.h. interaktiv, abgestimmte oder ausgehandelte Entscheidungen darstellen. Diese familialen Interaktionsprozesse münden meist in Rollenverteilungen ein, die gleichsam fertige Muster für die Entscheidungsfindung abgeben Auch tragen sie dadurch zur Erleichterung des Interaktionsprozesses bei, da Ziele und Prozeduren nicht jedesmal neu ausgehandelt werden müssen. Dies funktioniert jedoch nur bei Gütern und Dienstleistungen des periodischen Bedarfs; bei teuren und langlebigen Gütern, die nur einmal oder selten angeschafft werden, lässt sich dieser Findungsprozess nicht anwenden.

In jüngeren Untersuchungen wurde auch festgestellt, dass autonome Entscheidungen immer mehr zunehmen und es zu einer stärkeren Rollendurchmischung kommt, bei denen die klassischen Rollenmuster verlassen werden.

Bei der Einflussnahme von Bezugspersonen und Bezugsgruppen (Wiswede[43] zählt dazu  Eigen- oder Fremdgruppen), zu denen eine kognitive und/oder emotionale Beziehung besteht, unterscheidet er unter der normativen und der komparativen Funktion dieser Bezugsgruppen. Erstere erfüllen die Aufgabe Verhaltensnormen für angemessenes Konsumverhalten zu liefern und nicht angemessenes zu sanktionieren. Die komparative Funktion dient der Validierung eigener Einstellungen, Leistungen und Verhaltensstile. Dadurch erhält das Individuum Informationen über die eigene Person und über angemessenes Verhalten, womit es eine bestimmte Position im sozialen Raum einnimmt.

Die Bezugspersonen fungieren häufig auch als Meinungsführer, und durch ihre Modifizierung und Kanalsierung der Massenmedien als deren Verstärker. Dies funktioniert jedoch nur, wenn ähnliche sozialkulturelle Merkmale, Einstellungen und Lebensstile vorhanden sind.

Weiters unterscheidet die Forschung zwischen positiven und negativen Bezugsgruppen. Die ersteren – mit denen das Individuum Konformität herstellen möchte – dienen zur Identifizierung; die letzteren werden als Fremdgruppe angesehen, von der es gilt, sich zu distanzieren und abzuheben[44].

  • Konsumverhalten im weiteren sozialen Kontext

Beim weiteren sozialen Kontext wird meist von schichtspezifischen, milieuspezifischen oder subkulturspezifischen Konsummustern gesprochen, wobei sich in den jüngeren Untersuchungen eine Entschichtung abgezeichnet hat, d.h. das Konsumieren ist nicht mehr streng an die Beziehung Soziallage und Konsumverhalten ausgerichtet. Dadurch löst sich der bindende Charakter allgemeiner und auch rollenspezifischer Konsumnormen sowie homogener schichtspezifische Konsumstile auf und es führt zu Unterschieden im Verwendungs- und Nutzungsverhalten[45], dem eine stratifizierende Funktion zugeschrieben werden muss. 

Diese Verlagerung schichtspezifischer Konsumverhaltensweisen von der Kauf- auf die Verwendungsebene fördert die Bedeutung des „Kulturkonsums“, wo der Charakter der „Kennerschaft“ die bloßen Möglichkeiten des Kaufens überrundet zu haben scheint. Unterscheidungen zu anderen sozialen Gruppen sind nur noch durch die Betonung subtiler Unterschiede im Rahmen einer „Geschmackskultur“ möglich, die – betrachtet man sich das entsprechende Konsummuster – Individualität und Optionalität ausdrückt. Dies lässt sich bei Ausweitung des sozial-kulturellen Kontextes auch für ländertypische oder kulturspezifische Konsumverhaltensweisen analysieren, die nach Robertson[46] zu einer Doppelbewegung geführt hat – auch „Glokalisierung“ genannt – bei der Universalismus und Partikularismus gleichermaßen gefördert werden[47].

Konsumverhalten und Wertewandel

Die Untersuchungen von Wiswede und Engelmann im Jahre 1997 zeigen drei Faktoren des Wertewandels im Konsumbereich auf:

  • Die Tendenz der Hedonisierung: Diese tritt am deutlichsten in Erscheinung und reflektiert auf eine Erlebnis- und Genussorientierung im Hier und Jetzt[48], die milieu- und altersspezifisch variiert. Jedoch tritt der Hedonismus nicht schrankenlos auf, sondern zeichnet sich durch eine weitgehend kontrollierte und dosierte Genussorientierung aus.
  • Die Tendenz zur Sublimierung: Hier werden  Bourdieus Studien zur Bedeutung der feinen Unterschiede[49] aufgegriffen. Der Konsument versucht über „Kennerschaft“, Alltagsästhetik und Geschmack eine Distinktion zu erlangen, die ihn aufgrund seines Lebens- bzw. Konsumstils einer bestimmten Gruppe bzw. einem Milieu zugehörig zeichnet.
  • Die Tendenz der Individualisierung: Hier wird einer sozial insolierten, individuellen Biographieplanung Platz gemacht[50], bei denen das Individuum nicht mehr in die soziale Struktur eingebettet ist, sondern sich die gesellschaftlichen Vorteile selbst herstellen  muss. Dies impliziert jedoch die Chance der Option, aber auch das Risiko des Scheiterns.

Im Konsumbereich wurde die Individualisierungsthese jedoch in einem viel eingeschränkteren Sinn verfolgt. Zwar möchte der Mensch einen individuell einzigartigen Konsumstil verfolgen, dies ist ihm jedoch durch Einkommensbegrenzungen nicht möglich. Deshalb muss er erzwungenermaßen individuelle Akzente setzen.  

Individualisierung tritt auch dann auf, wenn auf Budgetänderungen nicht proportional, sondern, mit einer sogenannten Bereichsbildung, selektiv reagiert wird, die das eigene Verhalten vom Verhalten anderer Personen möglichst deutlich abhebern soll, und damit zwei Hauptmotive des „hybriden“ Konsumentenverhaltens befriedigt: erstens die Forderung nach personaler Identität und zweitens die Möglichkeit zur Gewinnung sozialer Identität. 

Wenn sich nun die Genussmoral verändert und der Geschmack sublimiert wird, sich jedoch die Notwendigkeit ergibt, sich bei Konsumausgaben zu beschränken, tritt das Drei-Stadien-Modell der Wohlstandsgesellschaft in Kraft, wie Yenkelovich 1997 formulierte:

  1. Phase: Der Wohlstand ist noch neu und gehört nicht zur Selbstverständlichkeit. Furcht vor Verlust des Überflusses ist prägend, dadurch Beibehaltung einer konservativen und traditionellen Werteordnung
  2. Phase: Diese wird durch einen sprunghaften Optimismus gekennzeichnet; Erlebnisorientierung, Hedonismus, Individualismus breiten sich aus; im Mittelpunkt steht das Streben nach Selbstausdruck und Selbstverwirklichung.
  3. Phase: Grenzen des Wachstums und Einbrüche in der Einkommensentwicklung treten auf; jedoch widersteht der eingetretene Wertewandel dieser neuen Entwicklung; der Mensch gibt die neue Werteorientierung nicht auf, sondern versucht auch unter schwierigen Umständen die veränderte Orientierung durch „lean-consumption“ zu bewahren[51].

Konsumverhalten am Beispiel Ernährung

Die Ernährungspolitik, deren fundamentales Ziel in erster Linie die Nahrungssicherung ist[52], versucht auch den Nahrungskonsum der Bevölkerung dahingehend zu motivieren, dass der Mensch eine physiologisch optimale Ernährung wählt, die Krankheiten vorbeugt und die Gesundheit fördert[53]. Die daraus resultierende Verwissenschaftlichung des täglichen Essens, setzt jedoch einen Verbraucher voraus, bei dem Essen eine rein rationale Entscheidung ist[54].

Betrachten wir das Verhältnis Konsumverhalten und Sozialstruktur bezogen auf den Bereich Ernährung, so erkennen Prahl/Setzwein[55], dass das soziale Prestige eines Lebensmittel im Ernährungsverhalten eine große Rolle spielt, da sich mit der Auswahl der Nahrung soziale Zugehörigkeiten und Grenzen markieren lassen[56]. Denn Essen und Trinken sind nicht nur ein physiologischer Akt, sondern es handelt sich dabei um kulturelle und soziale Tatsachen, die eine bedeutsame soziale Funktion erfüllen. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, mehr über die soziale Bewertung bestimmter Lebensmittel zu erfahren, was bei den unterschiedlichen sozialen Gruppen unter “richtigem“ Essen verstanden wird, und welche Verflechtungen zwischen Ernährungsverhalten und sozialer Ungleichheit vorkommen[57].

Essen ist ein Bestandteil des Lebensstils und wird in den Prozess der sozialen Differenzierung durch die Kultivierung von Unterschieden eingebunden[58]. Durch diese feinen Unterschiede im Essgeschmack, wie auch im gesamten Habitus, soll deutlich gemacht werden, zu welcher sozialen Schicht bzw. Klasse der Konsument gezählt werden möchte. Damit wird der Geschmack unter anderem ein Instrument, um Nahrungszeichen zu entziffern und einem bestimmten Essstil zuzuweisen, der als charakteristisch für eine bestimmte soziale Position gilt. Diese, für sozial ähnlich strukturierte Gesellschaften, typische Esskultur ist verhältnismäßig gleich und erstaunlich zählebig[59], was auch bei sozialen Gruppen zu erkennen ist, die ökonomisch zwar aufsteigen, ihrem Essgeschmack aber treu bleiben[60].

Zum Beispiel lässt sich erkennen, dass die mittleren und oberen Gesellschaftsschichten eher ein Ernährungsverhalten zeigen, dass zu den Vorgaben einer gesunden Ernährung tendiert, während in den unterprivilegierten Schichten davon eher abgewichen wird[61].

Vor allem Fleisch hat eine besondere soziale Bedeutung. Dieses Nahrungsmittel fungiert in unserer Kultur nicht nur als typische Sonn- und Feiertagsspeise und stellt an sich den Inbegriff einer „anständigen“ Mahlzeit dar, sondern dient auch als Maßstab für den eigenen sozioökonomischen Status[62]. Zum Beispiel variiert der Fleisch- und Wurstverzehr mit dem Bildungsgrad; je höher dieser ist, desto geringer ist die konsumierte Menge.

Auch kann man einen geschlechtsspezifischen Unterschied beim Fleischkonsum erkennen[63]. Es gibt Nahrung, die als typisch weiblich oder typisch männlich angesehen wird[64]. Durch das Meiden oder Bevorzugen bestimmter Nahrungsmittel, wie z.B. Fleisch, werden diese geschlechtsspezifisch besetzt[65]. Das Geschlecht ist an sich keine natürliche Tatsache, sondern eine soziale Kategorisierung ist, die interaktiv hergestellt und aufrechterhalten wird. Dadurch handeln und verhalten sich weibliche und männliche Menschen auf eine Weise, die ihr Geschlecht ausdrücken und von Interaktionspartnern auch so entziffert werden[66].

Da Frauen bei Umfang und Auswahl ihrer Nahrung tendenziell eine größere Gesundheitsorientierung zeigen als Männer, essen nur ein Viertel der für die NVS[67] befragten Frauen täglich Fleisch, wohingegen der tägliche Fleischkonsum bei den Männern zwischen gut einem Drittel und knapp 50 % liegen[68]. Diese Unterschiede können noch nicht im Kindesalter nachgewiesen werden, sondern treten erst als Form der Geschlechtsidentität in der Pubertät zu Tage. „Fleisch und zwar rotes Fleisch am Stück und nicht Geschnetzeltes oder Gehacktes, ist das typische männliche Nahrungsmittel“ meinen auch Prahl/Setzwein[69]. Für Männer ist es wichtiger, sich von Frauen und den als „weiblich“ definierten Verhaltensweisen abzugrenzen, als umgekehrt; auch männliche Personen, die „weibliche“ Ernährungsmuster zeigen, werden mit Argwohn betrachtet[70].

Betrachtet man sich Konsumverhalten im weiteren sozialen Kontext, zeigen die National- und  Regionalküchen, wie eng Essgewohnheiten und soziale Identität miteinander verknüpft sind. Sind bestimmte Speisen erst einmal als typisch etabliert, werden die Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit gegen eine entfremdete Lebensweise verteidigt[71]. „Selbst im Zuge zunehmend internationalisierter Marketingsysteme greifen nach wie vor viele Werbekonzepte auf die Heimatkomponente von Nahrungsmitteln zurück (Sandgruber, 1997: 181), um damit die Illusion von Ursprünglichkeit und Unverfälschtheit zu erwecken“, so Prahl und Setzwein[72]. Dies zeigt sich auch bei der europäischen „Spezialitäten“-Verordnung, die neben dem Namen auch die Rezeptur von Lebensmittel schützen soll, wenn diese sich durch traditionelle Merkmale auszeichnet[73]. Abgeleitet wird das von einem sozialen Konsens bezüglich der Lebensmittelverarbeitung, die auf der unstrittigen, weil kulturell gemeinsam geteilten Überzeugung basiert, dass das, was „natürlich“ ist und traditionell hergestellt wurde, als gesundheitlich unbedenklich angesehen wird. Hier spielt vor allem das kulturelle Vertrauen in die traditionelle Lebensmittelproduktion und die „typischen Ingredienzien“ der Region eine wichtige Rolle[74].

Wenn man sich Bourdieus Kategorisierung in Luxus- bzw. Notwendigkeitsgeschmack zuwendet, so kann dessen fundamentaler Gegensatz durch die Gegenüberstellung von Quantität und Qualität, Materie und Manier, Substanz und Form charakterisiert werden. Dies ist zum Beispiel beim Essstil gut zu beobachten: Der „freimütige und ungezwungene“ Essstil der unteren sozialen Schicht, mit ihrer Vorliebe für Suppen, Soßen, Nudeln und Kartoffeln, steht der Essstil der Wohlhabenden gegenüber, der mehr darum bemüht ist formvollendetes Essen – mit Speisen aus relativ teuren Lebensmittel, die jedoch mit geringem Zeitaufwand und minimalen häuslichen Arbeitseinsatz hergestellt wurden[75] – durch Disziplinierung und Triebunterdrückung zu zelebrieren[76]. Der Luxusgeschmack ist damit ein Instrument, der nicht nur soziale Distinktion von ökonomisch und kulturell privilegierten Lagen ausdrückt, sondern auch eine Ressource für symbolisches Kapital. Damit wird unter anderem gezeigt, was gesellschaftlich legitim und richtig ist, wobei der Notwendigkeitsgeschmack zu einer Lebensart gehört, die gesellschaftlich als illegitim und moralisch nicht akzeptierbar bewertet wird[77]. Auch von der Ernährungsberatung wird der Notwendigkeitsgeschmack nicht als solches akzeptiert, sondern sie empfiehlt eine Ernährung, die dem Luxusgeschmack ähnelt und ihn gegenüber dem Notwendigkeitsgeschmack als minderwertig zum Luxusgeschmack ansieht[78]

Das entscheidende Kriterium ist jedoch, ob es sich beim Notwendigkeitsgeschmack tatsächlich um einen gewählten Geschmack handelt, oder eher um eine mehr oder weniger aufgezwungene Essweise, die durch den Geldbeutel im Kochtopf regiert wird.  Denn, wenn keine Chance zur Geschmackswahl besteht, kann man dann noch von Geschmack reden? Und, wenn die Chance zur Stilisierung sehr gering ist, kann man dann noch von Lebensstil sprechen[79]?

Jüngere Beiträge untersuchen den Zusammenhang von Ernährung und Armut, wobei der Verzicht auf Fleisch als dessen Zeichen gilt. Hierbei wird zwischen materieller und sozialer Ernährungsarmut unterschieden[80]. Laut Prahl/Setzwein[81] liegt materielle Ernährungsarmut vor, wenn der Nahrungsbedarf weder quantitativ noch qualitativ gedeckt werde kann, egal ob dies durch einen Mangel an finanziellen Ressourcen oder aufgrund eines Mangels von Nahrungsmitteln hervorgerufen wird. Bei der sozialen Ernährungsarmut müssen Lebensmittelkategorien gewählt werden, die einen eher niedrigen sozialen Status haben. Ebenso ist es für die Betroffenen schwierig kulturelle Mahlzeitmuster einzuhalten. Diese soziale Dimension der Ernährungsarmut wird von den Betroffenen oft als schwerwiegender angesehen, als die materiellen Einschränkungen. Auch hat ihre Umwelt spezifische Erwartungen an diese  Gruppe von Menschen: Nicht nur, dass sie dafür sorgen sollen, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, sollen sie sich vor allem ihrer sozialen Lage gemäß verhalten, womit eine „angemessenes“ Ernährungsverhalten erwartet wird, dessen Eckpfeiler die Reduzierung der Kost auf Grundnahrungsmittel, Sonderangebote und Artikel aus Billigdiscountern darstellen[82]. „Wer arm ist, so läßt sich zusammenfassen, darf also seinen Verzehr nur am physiologisch Notwendigen orientieren […] Soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung, Zerbrechen sozialer Beziehungen und familiärer Bindungen, aber auch das subjektive Mangelgefühl, das zu Eßstörungen führen kann, sind Folgen sozialer Ernährungsarmut.“[83], um nur einen der vielschichtigen Unterschiede zwischen und innerhalb der Sozialschichten zu nennen[84].

Jedoch ist das Einkommen alleine kein zuverlässiger Indikator für die Ernährungsweise bestimmter Sozialschichten; viel bedeutender ist die Verfügung über kulturelles Kapital, welches im Sozialisationsprozess inkorporiert wird[85].

Und das Ausprägungshöhe dieses Kapitals kann auch entscheidend für den nächsten wichtigen Bereich sein: den nachhaltigen Konsum.

Nachhaltiger Konsum – eine Begriffserklärung

Konsum – so wie wir ihn heute kennen – verursacht, sowohl in individueller als auch in kollektiver Hinsicht, eine Vielzahl von ungewollten Nebenfolgen, die mit dem Wachstum der „globalen Verbraucherklasse“ zunehmen. Vor allem Umweltverschmutzung aber auch Ressourcenverknappung werden zu einer (über)lebenswichtigen globalen Herausforderung, der mit Hilfe von nachhaltiger Entwicklung in Form einer Veränderung von Konsummustern entgegengetreten werden soll. Doch was ist nun unter Nachhaltigkeit, vor allem im Bezug auf den Konsum, zu verstehen[86]?

Nachhaltiger Konsum lässt sich in zwei Stufen unterscheiden: nachhaltiger Konsum im weiteren und im engeren Sinn.

Ersterer beinhaltet Handlungen, welche die sozial-ökologischen Probleme im Vergleich zu konventionellem Konsum verringern helfen, ohne den individuellen Nettonutzen extrem zu schmälern, wie z.B. beim Kauf von Bio-Lebensmittel, aber auch ohne neue Problemlagen entstehen zu lassen.

Unter nachhaltigem Konsum im engeren Sinn, die eine Teilmenge von nachhaltigem Konsum im weiteren Sinn darstellt, ist jene Art des Konsums zu verstehen, die inter- und intragenerational verallgemeinerbar für alle Menschen ist, ohne das Ziel der Nachhaltigkeit zu gefährden, wobei unter einer starken und schwachen Verallgemeinerbarkeit unterschieden werden kann. Hierbei steht vor allem die absolute Zielerreichung im Gegensatz zur relativen Verbesserung gegenüber dem Status quo beim nachhaltigen Konsum im weiteren Sinn im Vordergrund[87].

Es bestehen drei Strategien für die Realisierung von nachhaltigem Konsum:

  • Die Effizienz: Diese beinhaltet die Dematerialisierung von Produkten und Dienstleistungen, wobei der gleiche Nutzen bei geringem Energie- und Materialverbrauch erreicht werden soll.
  • Die Konsistenz: Diese orientiert sich am natürlichen Stoffwechselkreislauf, wobei Abfallstoffe wieder den Ausgangspunkt für neue Produkte darstellen sollen[88]
  • Die Suffizienz: Diese zielt auf die Veränderung von Werten und Bedürfnissen[89]

Beim modernen Konsumverhalten in gegenwärtigen Gesellschaften stehen jedoch vor allem die drei eng miteinander verbundenen Prinzipien des modernen Konsums im Mittelpunkt: die Ästhetisierung, der Hedonismus und die Unersättlichkeit[90]. Sie resultieren aus einem Konsumverhalten, das nicht von instrumentellen Orientierungen ausgelöst wird, sondern sich an ästhetischen bzw. kulturellen Präferenzen ausrichtet[91].

Ästhetisierung

Hier handelt es sich um eine Sinnwahrnehmung, die alle leiblichen Sinne und Erlebnisse einbezieht. Dadurch kommt es zu einer Ästhetisierung des Alltagslebens und einer zunehmenden Erlebnisorientierung in Konsum und Freizeit. Das Individuum orientiert sich weniger an äußeren Gegebenheiten, sondern mehr an seinen inneren ästhetischen Motiven.

Hedonismus

Die Vorstellung einer Entwicklung von modernem Hedonismus im Konsumverhalten ist eng mit dem Konzept der Ästhetisierung des Konsums verbunden. Colin Campbell[92] meint, dass dieser moderne Hedonismus zunehmend auf emotionale Zustände ausgerichtet ist, die einen hohen Erregungsgrad versprechen. Der moderne Konsum weist eine idealistische Dimension auf, die von ästhetischen Empfinden des Einzelnen abhängig ist.

Unersättlichkeit

Das Individuum verändert seinen Konsum in qualitativer aber auch in quantitativer Weise, bis hin zur Unersättlichkeit. Nach Gerhard Schulze[93] kann Konsum per se die Bedürfnisse jedoch nur partiell befriedigen, was zu einer permanenten Sättigung der Nachfrage nach Konsumerlebnissen führt. Der Markt bietet dem modernen Konsumenten pausenlos neue Erlebnisse an, an die sich das Individuum jedoch rasch gewöhnt. Die Folge ist eine abnehmende Qualität des Erlebnisses, die mit steigernder Quantität zu kompensieren versucht wird.  Campbell[94] sieht dies ähnlich: Der moderne Konsument kann zwar nur aus realen Erlebnissen und Gütern echte Befriedigung schöpfen, benutzt aber Tagträume, um einen behaglichen Gefühlszustand herzustellen. Dadurch erscheint jedoch das reale Leven langweiliger, was neue Tagträume zur Folge hat, die letztendlich zur Desillusionierung führen. Dadurch entsteht eine Erwartungs-Enttäuschungsspirale; ein unablässiges Streben nach neuen Erlebnissen, die angenehme Emotionen versprechen[95].

Damit wird der heutige Konsument als ein Individuum angesehen, dem die Fähigkeit zur Selektion fehlt, der über seine tatsächlichen Bedürfnisse nicht genügend reflektiert, der zu leichtfertig und gutgläubig handelt und sich nicht angemessen informiert[96]

Um jedoch die Problematiken in den Griff bekommen zu können, wird angenommen, dass der Verbraucher durch Aufklärung und Information zu einem „verantwortlichen“ Konsumenten gemacht werden kann. Ihm kommt damit eine Schlüsselrolle in der Verbreitung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster zu. Er sollte in der Lage sein, das Marktgeschehen durch eine an seine individuellen Bedürfnisse orientierten Kaufentscheidung so zu steuern, dass ein Konsum gefördert wird, der auch die kollektiven, ökologischen und sozialen Folgen dieses individuellen Konsums berücksichtigt[97].

Die Hoffnungen, die damit in den Verbraucher als alleinigen Motor für nachhaltigen Konsum gesetzt werden, sind weit überzogen. Denn eine nachhaltige Veränderung von Konsummustern erfordert einen komplexen, koordinierten Mix verschiedener Strategien und Steuerungsinstrumente, die auch untereinander eine Passung aufweisen[98]

Wie näherer Untersuchungen ergeben haben, kann es nur durch das Zusammenspiel der fünf zentralen Einflussebenen auf das Konsumverhaltens Verbesserungen im Sinne einer Nachhaltigkeit geben:

  • Makrostrukturelle Trends (inkl. Technikentwicklung)
  • Öffentliche Kommunikation und Problemdiskurse
  • Politische Regulierung und Steuerung
  • Alltagskulturelle Kontexte
  • Interkation von Marktangebot, Konsum und technischen Versorgungssystemen auf der Ebene individueller Haushalte[99]

Die Sozialwissenschaften können für einige Punkte zu den oben beschriebenen Modell wichtige Beiträge zu einer transdisziplinären problem- und akteursorientierten Nachhaltigkeitsforschung leisten und damit den Weg zu Modellen ebnen, die verständlich machen, warum Akteure so handeln, wie sie es tun. Wichtige Grundvoraussetzung dafür ist, laut Stieß und Götz[100], das Verständnis, dass die Alltagspraxis weder verstanden noch verändert werden kann, wenn die dahinter stehenden Orientierungen, Wünsche und Motivationen nicht verstanden werden[101].

Literaturverzeichnis

Barlösius, Eva: Eßbar oder nicht essbar? Die Nahrung als kulturelles und soziales Zeichen. In: dies.: Soziologie des Essens, Weinheim/ München: Juventa Verlag 1999, S. 109-122

Barlösius, Eva: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung, Weinheim/München: Juventa Verlag 1999, S. 201-242 (Kap. Ernährungspolitik und Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln)

Belz, Frank-Martin/Bilharz, Michael: Nachhaltiger Konsum, geteilte Verantwortung und Verbraucherpolitik: Grundlagen. In: Belz, Frank-Martin u.a. (Hrsg.): Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert, Marburg: Metropolis 2007, S. 21-52

Brand, Karl-Werner: Konsum im Kontext. Der „verantwortliche Konsument“ – ein Motor nachhaltigen Konsums? In: Lange, Hellmuth (Hg.): Nachhaltigkeit als radikaler Wandel. Die Quadratur des Kreises?, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 71-93.

Eder, Franz X.: Geschichte des Konsumierens – Ansätze und Perspektiven der (historischen) Konsumforschung. In: Breuss, Susanne/ Eder, Franz X. (Hg.): Konsumieren in Österreich. 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag 2006, 9-41

Jäckel, Michael: Einführung in die Konsumsoziologie, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 180-190 („rivalisierende Kämpfe?“ – die Lebensstilforschung)

Karmasin, Helene: Produkte als Botschaften, Wien: Ueberreuter 1993, 189-194 und 220-252

Prahl, Werner/Setzwein, Monika: Soziologie der Ernährung, Kap. 3 (Sozialstrukturelle Dimensionen von Ernährung), Opladen: Leske+Budrich 1999, 63-87 (Referat)

Rössel, Jörg/Pape, Simone: Lebensstile und Konsum. In: Beckert, Jens/ Deutschmann, Christoph (Hg.): Wirtschaftssoziologie, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft 49/2009, S. 344-365

Schneider, Norbert F.: Konsum und Gesellschaft. In: Rosenkranz, Doris/Schneider, Norbert F. (Hrsg.): Konsum. Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven, Opladen: Leske+Budrich 2000, 9-22

Stieß, Immanuel/Götz, Konrad: Nachhaltigere Lebensstile durch zielgruppenbezogenes Marketing? In: Rink, Dieter (Hg.): Lebensstile und Nachhaltigkeit Konzepte, Befunde und Potentiale, Opladen: Leske+Budrich 2002, 247-263

Wiswede, Günter: Konsumsoziologie – Eine vergessene Disziplin. In: Rosenkranz, Doris/Schneider, Norbert F. (Hrsg.): Konsum. Soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven, Opladen: Leske+Budrich 2000, 23-29 und 35-72 (Referat)


[1] vgl. Wiswede (2000), S. 48

[2] vgl. Eder (2006), S. 11

[3] vgl. Wiswede (2000), S. 24

[4] vgl. Eder (2006), S. 12

[5] vgl. Schneider (2000), S. 12

[6] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 345

[7] vgl. Schneider ( 2000), S. 9

[8] vgl. Eder (2006), S. 13

[9] vgl. Schneider (2000), S. 9f.

[10] (2000)

[11] vgl. Wiswede (2000), S. 53 ff

[12] vgl. Schneider (2000), S. 10f.

[13] vgl. Schneider (2000), S. 14

[14] vgl. Wiswede (2000), S. 26f.

[15] (2006)

[16] vgl. Eder (2006), S. 15f.

[17] vgl. Schneider (2000), S. 15f.

[18] vgl. Karmasin (1993), S. 189 ff

[19] vgl. Karmasin (1993), S. 223

[20] vgl. Wiswede (2000), S. 25

[21] Zapf u.a. 1987, S. 14 in Jäckel (2004), S. 180

[22] vgl. Jäckel (2004), S. 180

[23] vgl. Jäckel (2004), S. 180 ff

[24] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 355

[25] vgl. Jäckel (2004), S. 182

[26] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 355

[27] vgl. Jäckel (2004), S. 181 ff

[28] vgl. Bourdieu 1987: 279 in Rössel/Pape (2004), S. 355f.

[29] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 355f.

[30] vgl. Jäckel (2004), S. 182f.

[31] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 357

[32] vgl. Müller, 1993, S. 779 in Jäckel (2004), S. 184

[33] Schulze, 1992, S. 174

[34] vgl. Jäckel (2004), S. 183 ff

[35] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 357

[36] vgl. Jäckel (2004), S. 185

[37] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 357

[38] vgl. Jäckel (2004), S. 187

[39] (2000)

[40] vgl. Sobel, 1981 in Wiswede (2000), S. 50f.

[41] (2009)

[42] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 347

[43] (2000)

[44] vgl. Wiswede (2000), S. 35 ff

[45] vgl. Hörning 1970; Wiswede 1972 in Wiswede (2000), S. 38

[46] (1995)

[47] vgl. Wiswede (2000), S. 38 ff

[48] Güter und Dienstleistungen werden danach beurteilt, in wie weit man mit ihnen ein schönes, erlebnisreiches Leben realisieren kann.

[49] (1982)

[50] vgl. Beck 1996 in Wiswede (2000), S. 60

[51] vgl. Wiswede (2000), S. 59 ff

[52] vgl. Barlösius (1999), S. 215

[53] vgl. Barlösius (1999), S. 205

[54] vgl. Barlösius (1999), S. 224

[55] (1999)

[56] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 70

[57] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 66f.

[58] vgl. Barlösius (1999), S. 224

[59] vgl. Barlösius (1999), S. 109f.

[60] vgl. Barlösius (1999), S. 113

[61] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 68

[62] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 70f.

[63] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 77

[64] vgl. Bärlösius (1999), S. 109

[65] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 77 ff

[66] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 69

[67] Nationale Verzehrstudie (Zwischen 1985 und 1989 führten 23.000 Personen eine Woche lang ein Ernährungs-   und Tätigkeitsprotokoll, inkl. Zufallsstichprobenauswahl mit Strukturinterviewführung)

[68] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 77

[69] (1999), S. 79

[70] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 80f.

[71] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 84f.

[72] (1999), S. 85

[73] Klein 1993 in Barlösius (1999), S. 215

[74] vgl. Barlösius (1999), S. 211

[75] vgl. Barlösius (1999), S. 115

[76] vgl. Barlösius (1999), S. 113

[77] vgl. Barlösius (1999), S. 116f.

[78] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 76

[79] vgl. Barlösius (1999), S. 116

[80] Feichtinger, 1995f: 295 in Prahl/Setzwein (1999), S. 71

[81] (1999)

[82] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 71 ff

[83] Prahl/Setzwein (1999), S. 73

[84] vgl. Prah/Setzwein (1999), S 73

[85] vgl. Prahl/Setzwein (1999), S. 76

[86] vgl. Belz/Bilharz (2007), S. 21f. 

[87] vgl. Belz/Billharz (2007), S. 27f.

[88] Renner 2004, S. 217 in Belz/Billharz (2007), S. 34

[89] vgl. Belz/Billharz (2007), S. 33f.

[90] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 351

[91] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 355

[92] (1997: 508 – 510) in Rössel/Pape (2009), S. 352

[93] (1992: 63 – 67) in Rössel/Pape (2009), S. 353

[94] (1997: 510 – 513) in Rössel/Pape (2009), S. 353

[95] vgl. Rössel/Pape (2009), S. 352f.

[96] vgl. Wiswede (2000), S. 64

[97] vgl. Brand (2008), S. 71 ff

[98] vgl. Brand (2008), S. 89

[99] vgl. Brand (2008), S. 78

[100] (2002)

[101] vgl. Stieß/Götz (2002), S. 261f.

Stand 2011