Essay zum Thema „Triviale“ und „nicht-triviale“ Maschinen

von Verena Grünwald

1. Einleitung

Für die Aufgabenstellung des Proseminars „Prozesssteuerung“ habe ich mich für das Thema „Triviale“ und „nicht-triviale Maschinen“ von Heinz von Foerster entschieden. Diese Thematik hat mich schon während meines Betriebswirtschaftslehrestudiums fasziniert und mich auch in meinen späteren beruflichen Tätigkeiten beschäftigt. In meinem Beitrag möchte ich mich zuerst mit von Foersters Theorie an sich beschäftigen, dann eine kurze Abhandlung über Maturanas Systemsicht erstellen, weiters Luhmanns Aspekt bezüglich der Kommunikation von sozialen Systemen näher betrachten und mit einem Einblick in Zeitstrukturen sozialer Systeme abschließen.

2. Überblick über Heinz von Foersters[1] „Triviale“ und „nicht-triviale“ Maschine

Um Organisationsprozesse zu begreifen, unterscheidet von Foerster grundlegend zwei Möglichkeiten: Die „Trivialmaschine“ und die „nicht-triviale Maschine“. Hierbei geht es von Foerster nicht wirklich um eine Maschine im herkömmlichen Sprachgebrauch, sondern um eine bestimmte Art zu Denken. Den Vergleich mit einer einfachen Maschine verwendet er, um eine Denkweise zu beschreiben, bei der bei einem gezielten Input ein erhoffter Output erwartet wird[2].

Nach von Foerster verbindet eine triviale Maschine durch ihre Operationen fehlerfrei und unveränderlich gewisse Ursachen (Input x) mit gewissen Wirkungen (Output y). Zu den Eigenschaften einer trivialen Maschine zählt er Eintönigkeit, Wiederholbarkeit,  Voraussagbarkeit, etc. Zusammenfassend sieht er sie als

  • synthetisch determiniert
  • analytisch determinierbar
  • vergangenheitstunabhängig
  • voraussagbar[3]

Bezogen auf die Prozesssteuerung in Organisationen bedeutet dies, dass der Eigenzustand des Systems immer gleich bleibt, es vollständig analysierbar ist, der Ablauf beliebig oft wiederholbar und die Zukunft berechenbar bleibt. Diese Gleichheit schafft Stabilität[4].

Das reine Maschinenmodel (Trivialmaschine) ist in Organisationen weit verbreitet, übersieht jedoch menschliche Aspekte ebenso wie den Umstand, dass viele Situationen zu komplex und unvorhersehbar sind[5].

Den Unterschied zur nicht-trivialen Maschine sieht von Foerster in der jeweiligen Abhängigkeit der Operationen von ihrem jeweiligen „inneren Zuständen“ z. Diese werden wieder von den vorangegangenen Operationen beeinflusst[6]. Hier kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei einem bestimmten Input mit Sicherheit ein (vor)bestimmter Output erzielt wird[7]. Nicht-triviale Maschinen sind

  • synthetisch nicht determiniert
  • analytisch unbestimmbar
  • vergangenheitsabhängig
  • unvoraussagbar[8]

Hier verändert sich der Eigenzustand des Systems nach jedem Prozess; es ist nur beschränkt analysier- und quantifizierbar und z ist nicht vorhersagbar. Das nicht-triviale System reproduziert sich selbst, indem es die eigenen Strukturen regelmäßig wieder nutzt; ebenso kann der Input selbst die Funktionsweisen des Systems verändern. Damit ist der Output abhängig vom Input und von früheren Systemzuständen.

Beim Umgang mit komplexen sozialen Systemen muss akzeptiert werden, dass diese Systeme – neben den oben genannten Charakteren – selbststeuernd und nur über die Bereitstellung von Rahmenbedingungen zu beeinflussen sind[9].

Doch was können wir uns unter diesen Systeme vorstellen? Hierzu ein kurzen Einblick hinsichtlich lebender Systeme von Humberto Maturana.

3. Lebende Systeme nach Humberto Maturana

Lebende Systeme sind nach Maturana Interaktionseinheiten, die in einer Umgebung existieren und in einem geschlossenen kausalen Kreislaufprozess (Stoffwechsel, Wachstum, interne molekulare Replikation) organisiert sind. Dadurch kann Zirkularität aufrechterhalten werden, die ein lebendes System zu einer Interaktionseinheit macht, das erhalten werden muss, damit in Folge das System selbst und seine Identität erhalten bleiben können[10].

Lebende Systeme sind kognitive Systeme; treten diese in eine kognitive Interaktion ein, so verändert sich ihr interner Zustand in einer für ihre Erhaltung relevanten Art und sie treten darauf in eine neue Interaktion ein, ohne ihre Identität zu verlieren[11]. D.h., der gegenwärtige Zustand ist immer durch den vorausgegangenen Zustand bestimmt[12].

„Wissen“ entsteht nach Maturana durch das Erkennen, also die Kognition. Dieses (das Wissen) ist jedoch nicht direkt übertragbar, sondern wird durch den Hörer geschaffen: „Der Hörer versteht nur dann, und objektives Wissen erscheint nur dann übertragbar, wenn der Hörer zu verstehen (vor)bereit(et) ist.“[13]

Damit kommt bei Maturana die Rolle des Beobachters ins Spiel: Ein Beobachter (der selbst ein lebendes System ist) betrachtet das System (z.B. den Organismus) und die Welt, in der sich dieses System befindet (also deren Umwelt). Dadurch ist es ihm möglich mit beiden (Organismus und Umwelt) unabhängig voneinander zu interagieren und auch in Interaktion einzutreten[14]. Jedoch betrachtet der Beobachter den Organismus in einer von ihm definierten Umwelt[15].

Die beiden Systeme (Beobachter und Organismus) können sich „nur in dem Maße überschneiden, in dem der Beobachter (einschließlich seiner Instrumente) und der Organismus vergleichbare Organisationen besitzen.“[16]

Möchte jetzt ein Organismus das Verhalten eines anderen Organismus modifizieren, so kann er dies auf zwei grundlegende Arten:

  1. wenn von den zwei Organismen eine Kette von ineinander verzahnten Verhaltensformen erzeugt wird (wie z.B. bei Paarungs- und Kampfverhalten) und
  2. wenn die beiden Organismen weitgehend in ihren Interaktionsbereichen übereinstimmen. Hier hängt jedoch das nachfolgende Verhalten von den Ergebnissen selbständiger, wenn auch paralleler Interaktionen ab.

Im letzteren Fall kommunizieren die beiden Organismen und dies stellt die Basis für das sprachliche Verhalten dar[17].

Betrachten wir uns nun die nicht-triviale Maschine von von Foerster und die Erklärung über lebende Systeme von Maturana so treten die Parallelen klar zu Tage. Wie nun mit diesen „Maschinen“ umgegangen werden kann, beschreibt Maturana in seiner zweiter Art der Verhaltensmodifizierung: durch weitgehende Übereinstimmung der Interaktionsbereiche, die wiederum durch Kommunikation geschaffen werden kann. Zu diesem Thema möchte ich den Vertreter der Systemtheorie zu Wort kommen lassen: Niklas Luhmann.

4. Kommunikation sozialer Systeme nach Niklas Luhmann

Luhmann begreift die Kommunikation als Synthese von drei Selektionen, als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen. Die Kommunikation ist realisiert, wenn und soweit das Verstehen zustande gekommen ist. Um jedoch eine (nachhaltige) Zustandsänderung zu bewirken, bedarf es der Annahme oder Ablehnung der mitgeteilten Information durch den Adressaten[18].

Auch nach Luhmann sind Systeme in sich geschlossen, existieren jedoch in ihrer Umwelt. Bezüglich der „Öffnung“ des Systems bedarf es einer sprachlichen Codierung. Diese strukturiert alle Operationen des System, als Wahl zwischen Ja und Nein, was das System damit geschlossen und offen zugleich macht[19]. „Die Geschlossenheit eines Sinnsystems lässt sich auf dieser Grundlage begreifen als Kontrolle der eigenen Negationsmöglichkeiten bei der Herstellung der eigenen Elemente.“[20] Dieses Konzept trifft auch im Fall sozialer Systeme zu. Kommunikation ist demnach entsprechend codiert, als ein positiver oder negativ gefasster Sinnvorschlag, der verstanden oder nichtverstanden, angenommen oder abgelehnt werden kann. Hierzu entwickelt das System ein „Verstehbarkeitsabschätzungswissen“[21], das jede Kommunikation kontrolliert; dies  erfolgt über ein Kommunizieren über Kommunikation, womit getestet wird, ob eine Kommunikation durch Verstehen überhaupt zustande gekommen ist oder nicht. „So ist Kommunikation die einzige Realitätsgarantie des sozialen Systems – aber dies nicht, weil sie die Welt, wie sie ist, richtig widerspiegelt oder zutreffend bezeichnet (…), sondern weil sie durch eine Form ihrer Geschlossenheit konditionierbar ist und sich selbst damit Bewährungstests aussetzt.“[22] Um diese Form der Kommunikation handhaben zu können, muss jedoch dessen Zeitbasis verbreitert werden, denn nur dadurch gibt es Aussichten auf Verständigung und Annahmebereitschaft[23].

5. Die Zeitstruktur sozialer Systeme nach Werner Bergmann

Bergmann sieht den Zeitfaktor als entscheidend für die Bestimmung und Aufrechterhaltung der Sinngrenzen[24] sozialer Systeme an. Weiters nimmt er Luhmanns Gedankengang bezüglich der Negationsmöglichkeiten auf, die er in eine grenzziehende sachliche, soziale oder zeitliche Negation unterteilt, deren Aufgabe es ist systemzugehöriges Handeln von nichtzugehörigem zu unterscheiden. Wenn sich Systeme ausdifferenzieren und Grenzen gegenüber der Umwelt ausbilden, benötigen sie Zeit, um externe Ereignisse nach internen zeitlichen Ordnungen zu verarbeiten[25]. Im System gibt es einen inneren und äußeren Zeithorizont (den, der Umwelt). Hier kann Kontinuität bzw. Diskontinuität bestehen; das wiederum hängt von dem Grad der zeitlichen Autonomie des Systems ab. Luhmann spricht hier von „Graden der Ausdifferenzierung“[26]. Diese Ausdifferenzierung, bei der das System die Umwelt aufgrund interner Ordnungen im System berücksichtigt, kostet Zeit. Deshalb wird auf Ereignisse „entweder erst später, planend-antizipierend oder überhaupt nicht geantwortet, und nur auf einige wird sofort reagiert.“[27]

6. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass nicht-triviale Maschinen eine eigene Form der Annäherung und des Umgangs bedürfen, um einen Einfluss auf sie ausüben zu können. Wichtig dabei finde ich ein Verständnis für ihre Funktionsweise. Erst dadurch wird es möglich geeignete Kommunikationswege zu ermitteln, um mit dem lebenden System in Kontakt zu treten und sich ihrer Codierung anzunähern, damit Mitteilungen auch angenommen werden. Vor allem ist hier auch der zeitliche Aspekt der Verarbeitung zu berücksichtigen, da das System seine eigenen Zeitgrenzen aufweist.

Um mit nicht-trivialen Maschinen zu arbeiten, bedarf es Verständnis, Beachtung, Kontakt und Zeit. Dabei darf jedoch nie vergessen werden, dass es sich dabei immer nur um eine Annäherung handeln kann, jedoch niemals um eine Kontrolle des Systems.

7. Bibliographie

Kasper, Helmut / Mühlbacher, Jürgen (2002): Von Organisationskulturen zu lernenden Organisationen in Kasper, Helmut / Mayrhofer, Wolfgang (2002): Personalmanagement Führung Organisation, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, Linde Verlag, Wien

Von Foerster, Heinz (1992): Entdecken oder Erfinden. Wie lässt sich Verstehen verstehen? In Serie Piper(1992): Einführung in den Konstruktivismus, Piper Verlag, München

Maturana, Humberto R. (1985): Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epistemologie, 2., durchgesehene Auflage, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig

Luhmann, Niklas (1991): Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie, 4. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main

Bergmann, Werner (1981): Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Eine systemtheoretische Analyse, Duncker & Humblot Verlag, Berlin

http://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_von_Foerster (24.04.09)


[1] Heinz von Foerster gilt als einer der Mitbegründer der kybernetischen Wissenschaft und wird philosophisch dem radikalen Konstruktivismus zugerechnet, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_von_Foerster (24.04.09)

[2] vgl. Kasper / Mühlbacher (2002), S. 135

[3] vgl. von Foerster (1992), S. 60 ff

[4] vgl. Kasper / Mühlbacher (2002), S. 135

[5] vgl. Kasper / Mühlbacher (2002), S. 136f.

[6] vgl. von Foerster (1992), S. 62

[7] vgl. Kasper / Mühlbacher (2002), S. 137

[8] von Foerster (1992), S. 66

[9] vgl. Kasper / Mühlbacher (2002), S. 138f.

[10] vgl. Maturana (1985), S. 35f.

[11] vgl. Maturana (1985), S. 39

[12] vgl. Maturana (1985), S. 52

[13] Maturana (1985), S. 32

[14] vgl. Maturana (1985), S. 34

[15] vgl. Maturana (1985), S. 52

[16] vgl. Maturana (1985), S. 36f.

[17] vgl. Maturana (1985), S. 53

[18] vgl. Luhmann (1991), S. 203

[19] vgl. Luhmann (1991), S. 602f.

[20] Luhmann (1991), S. 603

[21] Luhmann (1991), S. 604

[22] Luhmann (1991), S. 604

[23] vgl. Luhmann (1991), S. 604

[24] Grenzen trennen Systemkomplexität von Umweltkomplexität, siehe Bergmann (1981), S. 109

[25] vgl. Bergmann (1981), S. 109

[26] Luhmann, MS, S. 66 in Bergmann (1981), S. 110

[27] Bergmann (1981), S. 109f.

Stand 2009